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Mario Carnicelli - American Voyage

Photographs By Mario Carnicelli

 

Fotobuch-Regal.de - Rezension: Mario Carnicelli - American Voyage

 

 

Inhalt:

 

Mario Carnicelli ist Italiener, Jahrgang 1937 und lebt bis heute in Italien.

 

Er kam durch das Fotogeschäft seiner Familie erstmals in Kontakt mit der Fotografie und als junger Mann fotografierte er schließlich selbst, nahm an Fotowettbewerben teil und gewann einige Preise. Er war fasziniert von Edward Hopper, Faulkner, Steinbeck und Family by Man. Carnicelli nahm seine Fotos mit Mittelformat- und 35mm-Kameras sowohl in Schwarz-Weiß als auch in Farbe auf, die meisten davon in Italien.

In den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts gewann er als 29-Jähriger bei einem Fotowettbewerb der Zeitschrift „Popular Photography“ ein vierwöchiges Stipendium in den USA, gesponsert von den Firmen Mamiya und Pentax. Dies ermöglichte ihm 1966 seine erste Reise nach Amerika. Auf seiner vierwöchigen Tour quer durch die amerikanischen Staaten besuchte er dabei die Städte Detroit, Washington D.C., San Francisco, Buffalo, New York und Chicago.

 

Dieser vorliegende Band Mario Carnicelli - American Voyage* dokumentiert Carnicellis Reise in die USA und seinen ganz persönlichen und humanistischen Blick auf das Land und die Gesellschaft zu dieser Zeit.

Er fotografierte dabei die amerikanische Kultur als europäischer Außenseiter mit einem humanistischen Ansatz. Eine reine Abbildung von Stadtansichten und der Architektur reichte ihm nicht. Er sagt über sich selbst, dass sein Hauptsubjekt auf Bildern immer eine Person sei und Menschen sich durch ihren Ausdruck, ihre Kleidung und ihre Art sich zu bewegen offenbaren. Man verstünde augenblicklich, wo sie herkommen und wo sie hingehen. „Fotografie ist meine Sprache“, sagte er, „mein Subjekt ist die Person, das Menschliche.“

Carnicelli war begeistert von der sorgenlosen Mentalität, dem Happy-Go-Lucky-Spirit und dem überwältigenden Mix und Charme der unterschiedlichen Kulturen. Als Europäer erschienen ihm die USA vor seinem ersten Besuch als ein magisches Land, in dem alles möglich war, selbst ein Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär.

Seine Fotos dokumentieren neben den zu dieser Zeit aktuellen Moden und Gefühlslagen, den oft schwierigen Versuch der Menschen, diesen amerikanischen Traum zu leben. Schon bei seiner ersten Reise entdeckte er auch die Kehrseiten dieses Traums: „Die Realität wich stark von dem ab, was ich mir vorgestellt hatte.“ Zwar war im Jahrzehnt zuvor die Rassentrennung mittlerweile untersagt und das Wahlrecht für Schwarze eingeführt, jedoch stellte Carnicelli noch eine starke Diskriminierung im Alltag fest. „Die Menschen wirkten einerseits so frei, andererseits so unendlich einsam. Das ganze Land war extrem widersprüchlich“, sagte Carnicelli.

Zudem empfand er Amerika angefüllt mit Individuen, einzelnen Personen, getrennt von dem ihm bekannten Familienleben in Italien. Verglichen mit seinem Heimatland, der dortigen homogenen Kultur und Eingebundenheit in Familien, stieß er in den USA neben einem kulturellen auf einen sozialen „Melting Pot“ mit Klassengegensätzen, bei denen der Unterschied zwischen Arm und Reich stark ausgeprägt war.

 

Mario Carnicelli hat ein sehr gutes Auge für Kontraste, sowohl für fotografische Farbkontraste als auch soziale Kontraste, auch wenn er sagte, die Bilder seien stets zu ihm gekommen, „als wenn sie mich gesucht hätten“. „Eine gute Aufnahme passiert einfach, genau wie die Liebe. Wer sie sucht, der scheitert“ sagte er über seine Arbeitsweise.

Mal zeigt ein Bild einen älteren dunkelhäutigen Mann mit grimmigem Gesicht, der vor einem Schaufenster ausgefüllt mit nur weißen Krankenschwester-Kitteln entlangläuft. Carnicelli bemerkte zu diesem Bild: „Sein Blick, seine Art sich zu kleiden, sein Gang verraten mir alles über diesen Mann." Im Frühjahr 1965 kurz vor Carnicellis Ankunft in den USA war der schwarze Bürgerrechtler Malcom-X erschossen worden.

Mit seinem Bild „Entrepreneurs“ dokumentierte er in New York 1966 aber auch einen gleichzeitig möglichen Rollentausch: zwei elegant in Anzügen gekleidete „schwarze“ Geschäftsleute bei einem gemütlichen Plausch, während im Hintergrund sich „weiße“ Arbeiter abrackern. „Das Foto versinnbildlicht für mich das damals vorherrschende Klima im Land. Alles schien möglich.“

Ein anderes Foto bildet ein sich küssendes junges weißes Pärchen ab, ein daneben sitzender, eigentlich Zeitung lesender dunkelhäutiger Mann und ein anderer älterer im Rollstuhl sitzender Mann beobachten das Pärchen dabei. Gleichzeitig offenbaren sie sich dabei im mehrfachen Sinne als Außenstehende dieser Szene (S. 110/111). „Die Menschen wirkten einerseits so frei, andererseits so unendlich einsam, sagte Carnicelli in einem Interview.

Weitere Bilder kontrastieren bei einer wirren Doppel-Kundgebung Menschen gegen den Vietnamkrieg demonstrierend (Seite 65 und 65) mit anderen Seite an Seite stehenden, aber jeweils in eine andere Richtung schauend, diese in Fantasieuniformen gekleidet und Hakenkreuzfahnen hochhaltend (S. 66 und 67); alle Bilder Dallas 1967.

 

Carnicelli praktizierte Street-Photography, seine Fotos zeigen das öffentliche Leben zu dieser Zeit und somit dem heutigen Betrachter schon vergessene Szenen:

 

Öffentliche, enge Münzfernsprecher am Flughafen Chicago 1966, in einem Zeitalter ohne Mobilfunk und besetzt mit darin Zigarette rauchenden Menschen (Seite 19), auf der Straße schlange-stehende Arbeitslose vor einem Jobcenter, Chicago 1966 (S. 28/29); einen 60er-Jahre „Hippie“ als Zeitungsverkäufer in San Francisco 1967 (S. 84). Sowohl die Hippies, Telefonzellen, in Flughäfen rauchende Menschen, als auch die Nachrichten auf Papier an sich erscheinen heutzutage fast ausgestorben zu sein.

Die Fotos selbst haben wegen der oft verwandten Mamiya-Universal-6x9 - Mittelformat-Kamera und des damaligen Filmmaterials einen ganz eigenen Charme. Weiches Hintergrund-Bokeh vereint mit nostalgischen Pastell-Farben.

Bei den Schwarz-Weiß-Bildern dominieren gezielt eingesetzte Elemente wie Linien oder grafische Einrahmungen. Carnicelli meinte zwar, er würde seine Fotos nicht komponieren, seine Bilder zeigen aber starke harmonische Farbkontraste wie das Titelbild des Schutzumschlags (Blau-Rot-Gelb; Fashion Students, New York 1966), eine Straßenszene dominierend in Rot-Blau-Rot (Red Lights, Chicago 1966, S. 45) oder seine allgemeine Vorliebe für blaue oder rote Farbtöne (Red Door, Stanford 1966, S. 89). Zudem sind viele sozialkritische Bilder etwas weniger stark belichtet und zeigen einen düsteren Tenor mit bunten Farben als Eye-Catcher.

Farben sind für das menschliche Auge genauso wichtige Gestaltungselemente wie Helligkeit, Kontraste, Linien und Formen. Rot und Gelb im Foto ziehen den Blick an, verleihen einem Bild Energie und Begeisterung, Blautöne assoziieren Trauer und Einsamkeit. Ein Farbkontrast kann Harmonie oder Anspannung selbst bei statischen Motiven auslösen, je nachdem wie die Farben gewählt wurden.

 

Die Bilder seiner ersten Reise stellte er schon direkt im Anschluss in Mailänder Pirelli-Tower unter dem Titel „I’m sorry, America!“ aus.

Als entschuldige er sich mit diesem Titel für seinen persönlichen Blick auf Amerika als Außenseiter. Carnicelli hatte den Anspruch das wirkliche Amerika, den einfachen Menschen und das dortige Tagesgeschehen abzulichten. „Es tut mir leid“ erklärte der heute 80-Jährige, „aber so habe ich das Land eben gesehen. Ich hatte mir den amerikanischen Traum toller vorgestellt.“

In den Jahren danach folgten 1967 und 1969 weitere Reisen dieser Art. Später in den frühen Siebzigern gab er die eigene Fotografie auf und widmete sich ganz dem Betrieb eines eigenen Fotoladens in Florenz, er handelte nur noch mit Fotogerätschaften.

Erst als er sein Geschäft im Jahr 2010 schloss, wurden seine Tausende Negative nach 50 Jahren achtlos im Keller lagernd, erstmals für die Öffentlichkeit wiederentdeckt. Seine deutsche Mitarbeiterin Bärbel Reinhard sichtete diese teilweise vom Hochwasser verklebten, verschimmelten Bilder und scannte die Aufnahmen ein. Heute ist sie die Kuratorin des Carnicelli-Archivs.

 

Nach Sichtung aller Bilder wurden im Jahr 2018 über 150 Farb- und S/W-Fotos für eine Ausstellung von Mario Carnicellis Arbeiten in der David Hill Gallery in Ladbroke Grove, London, ausgewählt. Dieses Buch ist gleichzeitig der begleitende Katalog zur Ausstellung, es erschien im britischen Reel Art Press Verlag mit rund 160 Seiten.

 

 

Fotobuch-Regal.de - Rezension: Mario Carnicelli - American Voyage - Vorderseite

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Fotobuch-Regal.de - Rezension: Mario Carnicelli - American Voyage - Rückseite

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Fazit:

 
Ich finde, dass dieses Buch einen grandiosen Einblick in den USA-Alltag der Sechziger gibt.

Dabei zeigt es aus der Perspektive eines Außenseiters karge, aber stimmungsvolle Motive, die verschiedenste Unterschiede offenbaren. So wie er auf einem Bild direkt nach seiner ersten Ankunft noch etwas unsicher mit seiner Kamera in der Hand selbst porträtiert wird (S. 9), bildet Carnicelli vergleichbar mit der authentischen Street-Art-Fotografie einer Vivian Maier die Gesellschaft dieser Zeit ungeschönt ab.

Beide sind an den abgebildeten Personen interessiert und denken bei der Aufnahme weniger an ein späteres Publikum.

Bei beiden geht das fotografische Werk über einen langen Zeitraum für die Öffentlichkeit verloren und taucht erst später mehr durch Zufall wieder auf.

 

Das Buch ist auch ein Appell an die Gegenwart, diese ebenso detailliert und kritisch festzuhalten. Das was wir heute als alltäglich und normal empfinden, könnte für nachfolgende Generationen einen ähnlichen Reiz ausüben. So wie enge Telefonzellen mit Klappsitzen im heutigen Mobilfunkzeitalter fast nicht mehr vorstellbar sind, stellt man bei genauerer Überlegung fest, dass dieses digitale Wunder erst Ende der Achtziger bzw. Anfang der 90er mit dem D-Netz flächendeckend möglich wurde.

In zwanzig weiteren Jahren wird die nachfolgende Generation andere Wunder erleben und mit unseren Fotos über unseren heutigen Alltag schmunzeln.

 

Dieses schön gemachte Hardcover Buch mit Schutzumschlag und seine Einblicke sind ein toller Gegenwert für den Kaufpreis von rund 27 Euro.

 

È stato un piacere per me, grazie Mario!

 

 

Buchdaten:

 

Format: Gebundene Ausgabe
   
ca. Maße cm (BxLxT): 23,5 x 28 x 2
Seitenanzahl: 144
ca. Gewicht: 1.050 g
   
Autor(en): Mario Carnicelli
Verlag: RAP Reel Art Press
Auflage: 1
Erschienen am: 10.06.2018
   
ISBN: 9781909526570
Preis in (D): 26,77 €

 

Links:

 

Mario Carnicelli - American Voyage*

*

 

Link: mariocarnicelli.com - Homepage

 

Link: www.reelartpress.com

Link: RAP - Mario Carnicelli - Katalog-Vorschau - American Voyage

 

Link: David Hill Gallery - Homepage

Einen sehr guten ersten Eindruck kann man sich auch im 17seitigen Ausstellungsprospekt der Ausstellungsgalerie von David Hill verschaffen:

Link: David Hill Gallery - Carnicelli - American Voyage - PDF-Download

 


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von Vasco R. Tintrup, Herausgeber:

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