David Company / Hans-Michael Koetzle / Jeff Wall
Fred Herzog - Modern Color
Inhalt:
Der Fotograf
Fred (Fritz) Herzog, heißt eigentlich Ulrich Herzog und er ist Deutscher.
Er wurde 1930 in der Region von Stuttgart geboren und verließ Deutschland im Jahr 1952 als Seemann, nachdem seine Mutter bereits 1941 und sein im Krieg verwundeter Vater 1946 verstorben war. So kam er 1953 erstmals nach Kanada und nach weiteren Jahren auf See ließ sich dort in Vancouver als medizinischer Fotograf im Jahre 1957 nieder.
Seine erste Kamera hatte er als 20-jähriger bereits 1950 in Deutschland gekauft.
Das Buch: Modern Color
Das Buch Fred Herzog - Modern Color* des deutschen Hatje-Cantz Verlags aus Berlin ist als zweisprachiger Hard-Cover-Band erschienen, im hinteren Buchteil finden sich zusätzlich die deutschen Übersetzungen der englischen Einleitungstexte.
In der Bucheinleitung ist zu lesen:
„Er fand Vancouver entzückend schäbig und farbenprächtig und begann, dies mit seiner 35-mm-Leica festzuhalten.“ „Mehr als ein halbes Jahrhundert lang beobachtete er den Kern der Stadt – wie sie lebte, arbeitete, spielte und sich veränderte.“ „Es ist weder der positive Blick, wie ihn städtische Beamte gern verwenden, noch ist er negativ. Es ist das … Auge des wachen Betrachters“.
In diesem Bildband finden sich neben einem Selbstporträt aus dem Jahre 1959 auch einige wenige Fotos aus den USA, Mexiko oder der Karibik. Die Bildauswahl ist aber analog des fotografischen Schwerpunkts von Herzog ausgewählt, die meisten der hier abgedruckten Bilder zeigen seine neue Heimat Vancouver.
Herzog fotografierte die gewöhnlichen Gebäude und Bürger, ganz alltägliche Szenen und Gegenstände, fertigte zwischen 1961 und 1990 neben seiner Tätigkeit als Universitätsfotograf über 100.000 weitere Bilder in seiner Freizeit an. Das sind rund zwei (analoge) Filme pro Woche, die er nach seiner eigentlichen Arbeit an tausenden Spätnachmittagen oder an Wochenenden aufnahm.
Als ehemaliger deutscher Seefahrer hat er quasi mit den Augen eines Touristen das Disneyland der Arbeiterklasse zum Zeitpunkt der damaligen Zeit fotografiert.
Seine alte deutsche Heimat rund um die Stadt Stuttgart war durch Bomben dem Erdboden gleichgemacht, die Reste verblieben Grau in Grau.
In seiner neuen Heimat findet er überaus bunte Werbeschilder in Geschäften, Lokalen und auf Hausdächern finden sich neben renovierungsbedürftigen Gebäuden. Für ihn war diese üppige Straßenszenerie noch neu, für einen Amerikaner bzw. Kanadier wäre es wohl nicht so spannend gewesen, diese Tristesse und Langeweile mit Kodakchrome in Farbe abzubilden.
„Herzog ist ganz offensichtlich ein Realist, … in seinen Bildern gibt es nichts Erzwungenes. Die Ergebnisse wirken fast mühelos.“ „Als eifriger Leser fühlte sich Herzog besonders hingezogen zu der von ihm selbst so bezeichneten spröden literarischen Objektivität“.
In einem Interview aus dem Jahre 2013 mit der amerikanischen Website „American Suburb X“ sagte Fred Herzog: „Ich nenne Kanada Amerika. Ich spreche über Nord Amerika. Ich differenziere dazwischen nicht viel“.
In beiden Ländern findet er große Autos, riesige Werbetafeln und geschäftige Fußgänger, welche die Aufmerksamkeit eines Street-Fotografen anziehen.
Das Außergewöhnliche:
Besonders beachtlich zu dieser damaligen analogen Zeit: Filmmaterial an sich war ein teures und wertvolles Gut und der neuartige Kodakchrome Dia-Farbfilm ISO 10 kostete noch einmal deutlich mehr als der übliche S/W-Film. Herzog fertigte gelegentlich auch Schwarz-Weiß-Bilder an, wie man im Buch sehen kann.
Seine Begeisterung galt aber den Farben und in seinen Fotos finden sich immer starke Farbkontraste.
Zum Aufnahmezeitpunkt waren Schwarz-Weiß-Fotos generell verbreiteter, eine künstlerische Fotografie wurde ausschließlich in S/W angefertigt, die neuartige Farbfotografie war etwas für Amateure.
Dies ist möglicherweise ein weiterer Grund, dass das farbige Werk von Fred Herzog nicht wirklich bekannt geworden ist. „Erst in den letzten Jahren begann man, Fred Herzogs Fotografien Vancouvers als wichtiges Geschenk zu empfinden“ und heute wird sein Werk mit Walker Evans, Robert Frank und anderen führenden Fotografen des 20. Jahrhunderts verglichen.
Auch in der Bucheinleitung werden einige von Herzogs Bildern denen anderer bekannter Fotografen gegenübergestellt. Es finden sich viele Parallele, auch wenn diese Fotografen sich bzw. das Werk des anderen nicht kannten.
Herzog fotografierte überwiegend mit der Leica M-3 Sucherkamera, seine Lieblingsobjektive waren neben einer 50-mm-Normalbrennweite das Hektor 4,5/135mm. Er betrieb Street-Photography und verwendete seine kleine diskrete Kamera häufig aus der Hüfte heraus und dabei vorfokussiert mit der Fokusfalle, um an unbemerkte Straßen-Aufnahmen zu gelangen.
Er wartete auch wie Henri Cartier-Bresson ganz bewusst auf den „entscheidenden Moment“, wie man z.B. an seiner Serie auf der Seite 192 und 193 sehen kann. An einer Straßenkreuzung, beleuchtet durch einen speziellen schmalen Lichtstreifen mit goldenem Licht, passt er mehrmals einen einzelnen Passanten ab, um vom Bildaufbau her gesehen, diesen und seinen frontal fallenden Schatten, an der idealen Stelle abzulichten.
Andere seiner Fotos spielen mit der verbindenden Fokusebene von gezeigter Architektur, Wanddekor und lebender Person. So befinden sich z.B. bei einer Aufnahme in einem Friseurgeschäft die an der Wand gezeigten Beispielfrisuren genauso in der Fokusebene, wie die durch die Schaufenster gezeigte, auf dem Bürgersteig spazieren gehende Person. Dieser Stil ist wiederholt festzustellen.
Was könnte aber nun dieses Geschenk an die Stadt Vancouver darstellen, welche „spezielle Leistung“ könnte dieser Fotograf erbracht haben?
Eine mögliche Antwort ist: Seine „Modern Color“ - Bilder waren zur damaligen Zeit etwas Neuartiges und stellen dadurch heute eine Rarität dar.
„Wer unbedingt Farbe aus der guten alten Zeit anschauen möchte“, kann dies hier nun tatsächlich tun. Und das noch auf Kodakchrome Farbdiapositiven mit einem überaus reichen Farbspektrum, welches damals nur mittels eines Dia-Projektors wahrnehmbar war. Die üblichen Cibachrome-Papierabzüge oder andere Druckverfahren konnten diesen Farbreichtum nicht abbilden. Jetzt sind diese Dias erstmalig vergleichbar einer Projektion durch moderne digitale Scans reproduziert.
Der Anlass von Herzogs Fotografie war zudem intrinsisch, er hatte weder einen Auftrag von Dritten, noch musste er eine gewünschte Sichtweise abliefern. Herzogs Fotografien ermöglichen einen anderen, weil ungekünstelten Blickwinkel auf die Stadt, den Alltag und das Leben in ihr, sind dadurch auch ein Teil der Stadtdokumentation geworden. Sein fotografisches Werk ist daher auch von sozialem Interesse für die Stadt Vancouver.
Die Bilder von Fred Herzog waren in Kanada zwar bekannt, große Aufmerksamkeit erhielt er aber erstmals im Jahre 2007 als bereits 77-Jähriger durch eine Ausstellung der Vancouver Art Gallery.
Fazit:
Ich habe das fotografische Werk von Fred Herzog das erste Mal auf einer Ausstellung des C/O Berlin im Zeitraum 6.11.2010-9.1.2011 entdeckt.
Der damalige Ausstellungsband, ebenfalls aus dem Hatje Cantz Verlag, ist mittlerweile vergriffen. Dieses Buch ist jedoch eine schöne Alternative.
Manche seiner Fotos wirken auf den ersten Blick wie Schnappschüsse. Schaut man etwas genauer hin, entdeckt man recht schnell, dass seine Bilder gestaltet sind. Sei es durch bewusst eingesetzte Kontraste, Linienführung, oder durch die getroffene Bildaussage. Es lässt sich die Sozialkritik eines außenstehenden Betrachters entdecken, teilweise auch wohl kulturelles Unbehagen.
Nordamerika und Kanada muss für ihn als Einwanderer noch ungewöhnlicher, als für einen dort Geborenen gewirkt haben.
Das Leben der fünfziger, sechziger und teilweise siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts bestand nach den Zerstörungen der alliierten Bomberflotten nicht nur in Europa, sondern auch in den USA oder Kanada aus Tristesse und Kontrast. Einem Kontrast von Alt und Neu, Verfall und Aufblühen, Tradition und Moderne. So zeigen Herzogs Fotos Schmutz, abblätternde Farbe, verrottete Gebäude neben Neuwagen, moderne Amüsierviertel und bunter Neonwerbung. Besonders häufig werden Barber-Shops auf den Bildern festgehalten.
Entweder mochte Fred Herzog diese besonders oder er zeigte sie als Treffpunkt und Spiegelpunkt des aktuellen Lebens. Neben den Menschen in ihrer zeitgenössischen Kleidung, lassen sich in diesen aktuelle Werbung, andere Auslagen und Werbebotschaften entdecken. So bildet er auf den Wänden den aktuellen Zeitgeist des Jahres 1971 mit einem Bild der „Big Four“ (Churchill, Chiang Kai-Shek, Roosevelt, Stalin) oder von Martin Luther King ab.
Andere Fotos zeigen entrückten Tourismus, Touristen mit greller bunter Kleidung im Grand Canyon oder überbordende Farbigkeit der damals modernen blinkenden Neon-Reklameschilder. Vancouver zu diesen Jahren war mit seinen Werbeschildern, der Kleidung, den Autos schon damals bunt. Diese Farbigkeit kam erst mit einiger Verspätung durch das Wirtschaftswunder in Europa an.
Und Fred Herzog war einer der ersten, der diese Farbigkeit konsequent mittels Farb-Fotografie dokumentierte.
Seine als Einwanderer automatisch eingenommene Außenseiter-Sichtweise wird verstärkt durch seine so geschätzte „spröde literarische Objektivität“.
Seine Fotos erinnern mich an die realistische Malerei des amerikanischen Malers Edward Hopper, weltweit bekannt z.B. durch seine Bilder „Nighthawks“ (1942), „Chop Suey“ (1929) oder „Early Sunday Morning“ (1930). Genauso wie bei diesem finden sich in Herzogs Bildern häufig Fenster- oder Straßen-Szenen mit hochkontrastreicher Lichtszenerie.
Beispiele sind Herzogs Selbstporträt, die schon angesprochene Straßenszene auf Seite 192 und viele weitere. Beide schufen klare und figurative Bilder, die durch einen unterkühlten Stil etwas rätselhaft wirken und durch eine distanzierte, voyeuristische Perspektive dabei quasi objektiv einen Blick auf den aktuellen Zeitgeist ermöglichten.
Mir persönlich gefällt es sehr, in seinen Bildern die einzelnen Details der damaligen Zeit aufspüren. Man in seinen Bildern visuell herumwandern und skurrile Details, Alltagsgegenstände oder Werbebotschaften eines anderen Zeitalters entdecken.
Ob Herzog jetzt dafür ein besonderes Auge hat oder nicht, das Entdecken der Details vergangener Zeiten ist für unsere Generationen schon wieder spannend. Wie sah es damals aus, mit was umgaben sich die Menschen in Ihren Räumen, was hing an der Wand,… . Und Farbaufnahmen erleichtern dabei die Wahrnehmung dieser Details und solcher historischen Kontraste. Viele dieser Straßenzüge und -Kreuzungen Vancouvers existieren bis heute, ihre Ansicht hat sich jedoch drastisch gewandelt.
Vergleicht man den heutigen Anblick mit den alten Fotos, ist man erstaunt über die damalige Mode und Architektur oder über drei Stockwerke hohe Leuchtreklame bei einem vierstöckigen Gebäude des Astor Theaters Studios. In dem bis heute existenten Gebäude findet man nun die Fa. Starbucks.
Mit den eigenen Worten von Fred Herzog (Interview mit der Vancouver Sun, 2005):
„Mir war bewusst, dass ich Kunst aufnehme. Das war aber die Einbildung eines jungen Menschen. Ich wusste, dass das, was ich tue, nicht einzigartig ist, aber eines Tages würde ich damit herauskommen und die Menschen schockieren“.
Man könne auch die weitere Schlussfolgerung ziehen: Lasst uns unseren Alltag abbilden, selbst wenn dieser für uns vermeintlich langweilig wirkt.
Für spätere Generationen wird dieser Alltag „die gute alte Zeit“ sein!
Beim Bildband selbst fand ich – gerade unter Berücksichtigung des Kaufpreises – die Qualität sehr gelungen. Dieser Bildband zeigt 230 interessante Aufnahmen, hat eine tolle Papier- und Druckqualität.
Ich finde, er stellt einen schönen Schmuck für die Bibliothek eines jedes Fotografie-Liebhabers dar.
Buchdaten:
Format: | Gebundene Ausgabe |
ca. Maße cm (BxLxT): | 27,5 x 27 x 2,5 |
Seitenanzahl: | 320 |
ca. Gewicht: | 1980 g. |
Autor(en): | David Company / Hans-Michael Koetzle / Jeff Wall |
Verlag: | Hatje Cantz |
Auflage: | 1 |
Sprache: | Deutsch / Englisch |
Erschienen am: | 07.11.2016 |
ISBN: | 9783775741811 |
Preis in (D): | 38,00 € |
Links:
Fred Herzog - Modern Color*
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